Juli 2021
Die Liebe zum Detail - eine Wiederherstellung im Sinne Otto Wagners
2019 gelangten vier von Otto Wagner entworfene Dekorelemente der ehemaligen Wiener Stadtbahn in den Wiener Kunsthandel. Die vier Eichenlaubkränze bildeten ursprünglich Gestaltungselemente von Stationsgebäuden und scheinen nach dem Krieg demontiert worden zu sein. Über Vermittlung des Bundesdenkmalamts gelang der Ankauf von jeweils einem Paar durch die Wiener Linien und das Wien Museum. Nach einer vom Bundesdenkmalamt finanzierten Konservierung und Restaurierung erfolgte im Juni 2021 die Rückmontage eines Paares bei dem Stationsgebäude Friedensbrücke.
Neben der einzigartigen Verbindung von Materialität und Funktionalität, werden die Entwürfe Otto Wagners vor allem durch einen besonderen Detailreichtum charakterisiert, der einen starken Wiedererkennungswert besitzt. Auch bei der Wiener Stadtbahn verwendete Wagner stets wiederkehrende Ornamente, wie zum Beispiel die berühmten Sonnenblumengitter oder auch unterschiedliche Ehrenkränze, die zu prägenden Motiven der Wiener Moderne um 1900 wurden.
Die Bedeutung, die Wagner solchen Baudetails beimaß, wird an den vorliegenden Eichenlaubkränzen besonders gut ersichtlich: Wagner, der als erster Architekt maßgeblich auf Fotografie zur Planung, aber auch als Illustrationsmittel für seinen „Zukunftsstil“ setzte, ließ genau dieses Motiv der Eichenlaubkränze an den Stationspavillons noch 1914 in der letzten überarbeiteten Neuauflage seines Werks über moderne Architektur „Die Baukunst unserer Zeit“ als Einzelfoto abdrucken. Da er im Zentrum der Eichenlaubkränze den allerhöchsten Namenszug Kaiser Franz Josephs „FJI“ einschreiben ließ, verlieh er der Stadtbahn zusätzliche inhaltliche Bedeutung, indem sie zum Symbol der Fortschrittlichkeit des Herrschers wurde.
Nach dem Ende der Monarchie wurden diese Initialen jedoch weitgehend entfernt und finden sich zum Beispiel heute nur noch beim Hofpavillon Hietzing. Durch die Kombination der klaren Metallkonstruktion mit den nobilitierenden Ornamenten und dem massiven, tempelartigen Baukörper, gelang Wagner eine einzigartige gestalterische Verbindung zwischen den einzelnen Bauteilen der gesamten Bahnanlage, was einen hohen Wiedererkennungswert bewirkte.
Im Jahr 2019 wurden im Wiener Kunsthandel vier baugleiche metallene Eichenlaubkränze zur Auktion angeboten, die als Dekorelemente von Stadtbahnstationen der ehemaligen Wiental- und Donaukanallinie (heute U4) identifiziert werden konnten. Einschusslöcher und Beschädigungen durch Granatsplitter legten die Vermutung nahe, dass die Kränze offensichtlich erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Zuge von diversen Umbauarbeiten und Renovierungen der Stadtbahnstationen – nach aktuellen Erkenntnissen wahrscheinlich sogar erst in den 1980er Jahren – abgenommen worden und in weiterer Folge bei einem Altmetallhändler gelandet sind. Der spätere Verkäufer erkannte schließlich ihre Bedeutung, erwarb die Kränze als „Posten Schmiedestahl-Elemente“ und brachte sie später bei einem Wiener Auktionshaus ein.
Über Vermittlung der Abteilung für bewegliche Denkmale – Internationaler Kulturgütertransfer, der Abteilung für Wien und der Rechtsabteilung des Bundesdenkmalamtes gelang ein Ankauf eines Paares durch das Wien Museum. Das zweite Paar wurde von den Wiener Linien erworben und in der Abteilung für Konservierung und Restaurierung des Bundesdenkmalamtes restauriert. Nach eingehender Recherche von historischen Aufnahmen und Archiven konnte relativ schnell eine Eingrenzung möglicher Ursprungspavillons erfolgen und schlussendlich die Station Friedensbrücke beziehungsweise ehemals Brigittabrücke als wahrscheinlich ursprünglicher Montageort für zumindest eines der beiden Kranzpaare ermittelt werden.
In einem mit den Wiener Linien in Kooperation durchgeführten Projekt wurden zwei Kränze soweit konservatorisch behandelt, dass eine Rückmontage an ihrem ursprünglichen Ort möglich wurde. Die Konservierung und Restaurierung umfasste eine Abnahme der angerosteten Oberfläche und eine Beschichtung mit dem derzeit bei den Wiener Linien einheitlich in Verwendung stehenden grünen Farbton RAL 6011.
Die um 1897 entstandenen Kränze sind aus geschmiedetem Eisenblech gefertigt und wiegen jeweils circa 15 Kilogramm. Auf einem als Träger fungierenden massiven Eisenring sind jeweils 10 nach oben sich verjüngende trichterförmige Eichenblattbündel aufgesetzt, die am oberen Ende mit einer Manschette in Form eines Stoffbandes zusammengehalten werden.
Trotz der fortgeschrittenen Korrosion und einem offensichtlich erfolgten Sandstrahlen, konnten im Zuge der Konservierung und Restaurierung Spuren von entstehungszeitlichen Farbresten nachgewiesen werden, die sich meist in Vertiefungen erhalten haben. Vom Naturwissenschaftlichen Labor des Bundesdenkmalamts durchgeführte Untersuchungen dieser Farbreste zeigten, dass die bauzeitliche Erstfassung in einem gebrochen weißen Farbton angelegt war, die auch noch über mehrere Jahrzehnte weitergeführt wurde, bis schließlich zu einem bisher noch unbekannten Zeitpunkt nach dem Zweiten Weltkrieg, zu dem heute bekannten „Resedagrün“ gewechselt wurde.
Dieser Befund deckt sich sowohl mit den zeitgenössischen Quellen, die teilweise detaillierte Beschreibungen der Oberflächengestaltungen und auch der verwendeten Materialien enthalten, mit historischen Aufnahmen, als auch mit den Untersuchungen, die bisher an zahlreichen renovierten Stadtbahnstationen durchgeführt worden sind.
Auch wenn diese Erkenntnisse keinen unmittelbaren Einfluss auf das Restaurierziel hatten, geben sie dennoch einen nicht uninteressanten Einblick in die Wiener Stadtentwicklungsgeschichte. So hat sich auch die grüne Farbgebung mittlerweile als vertrautes Erkennungsmerkmal der ehemaligen Wiener Stadtbahn etabliert und ist damit selbst ein Teil seiner Geschichte geworden.
Die fertig restaurierten Kränze wurden im Juni 2021 Vertretern der Wiener Linien übergeben und am Stationsgebäude Friedensbrücke rückmontiert. Damit hat die jahrelange Odyssee der beiden Kranzpaare ein für alle beteiligte glückliches Ende genommen. Das Beispiel zeigt, dass gelegentlich auch kleine oder vermeintlich unscheinbare Details interessante Geschichten erzählen können und damit in Fokus der Denkmalpflege geraten können.