März 2022

Altar
Foto: Bundesdenkmalamt, Foto: Martina Oberer-Kerth

Die Heilig-Grab-Kapelle in der Pfarrkirche Hll. Nikolaus und Gallus in Neusiedl am See (Burgenland)

Mit der nun vollendeten Restaurierung präsentiert sich die gründerzeitliche Heilig-Grab-Kapelle mit ihrem bemerkenswerten Passionsaltar wieder als künstlerisches Kleinod, das in der kommenden Karwoche in seiner vollen Wirkung zur Geltung kommen wird.

Die Pfarrkirche Hll. Nikolaus und Gallus steht im alten Friedhof in erhöhter Lage oberhalb der Hauptstraße. Der gotische Kernbau, bis vor Kurzem in die Mitte des 15. Jahrhunderts datiert, ist nach aktuellen Erkenntnissen der Bauforschung bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts errichtet worden. Damals war Agnes von Österreich Besitzerin des Marktes Neusiedl, den sie 1296 anlässlich der Vermählung mit König Andreas III. von Ungarn als Witwensitz erhalten hatte. 1313 übergab die mittlerweile Verwitwete den Ort der Kathedralkirche hl. Adalbert des Erzbistums Esztergom (Gran) – in diesem Jahr ist ein erster Pfarrer von Neusiedl archivalisch belegt. 1450 gelangte Neusiedl in den Besitz des Grafen Sigmund von St. Georgen und Bösing, der in der Auseinandersetzung zwischen dem Habsburgerkaiser Friedrich III. und dem ungarischen König Matthias Corvinus 1462 die Seiten wechselte und fortan Parteigänger des Ungarnkönigs war.

Von Sigmund dürfte auch der Anbau an der Nordfassade als Familienkapelle errichtet worden sein. Die Untersuchung des Mauerwerks anlässlich der 2021 durchgeführten Restaurierung ergab eine Datierung um 1460. Damit sind bisherige Behauptungen, die eine Entstehung ins späte 19. Jahrhundert verorten, endgültig widerlegt. Nach 1734 wurde die Kirche nach Westen erweitert, ein Turm an die Apsis angebaut sowie Sakristei und Oratorium errichtet. Damals wurden auch Adaptierungen an der Kapelle unternommen, wie etwa die Schaffung eines Ausganges zum Friedhof. Diese Öffnung wurde im Zuge der Regotisierung im 19. Jahrhundert wieder geschlossen.

Außenansicht

Unter Prälat Adolf Braun erfolgte 1873 die Umgestaltung des damals nur noch als Abstellkammer verwendeten Raumes zur Heilig-Grab-Kapelle mit entsprechender Ausstattung. Der Neusiedler Bürger Jakob Amon bedachte den Bau testamentarisch großzügig mit 500 Gulden, ebenso traten Theresia List und die Lehrerswitwe Maria Strauby mit 150 Gulden und 100 Gulden als Wohltäterinnen auf – zum Vergleich: Ein Herrenanzug kostete damals rund 25 Gulden.

Für das Geld konnte der bestehende Wandelaltar als zentrales Einrichtungsstück angeschafft werden. Als Triptychon gestaltet, können je nach Motiv im Verlauf des Kirchenjahres wechselnde Ansichten präsentiert werden. Wenn die Flügel außerhalb der Karwoche geschlossen sind, ist die Werktagsseite zu sehen: Der Eindruck wird dann vor allem vom unterschiedlich gestalteten Holz bestimmt. Oberhalb der braun gefassten Mensa, die sich auf vier Säulen stützt, sind Holztafeln mit Rankenwerkdekor auf metallisiertem Grund zu sehen, darauf sind die Leidenswerkzeuge gemalt. Darüber erhebt sich das Gesprenge in flamboyanten Formen der Spätgotik.

Sind die Altarflügel in der Karwoche geöffnet, präsentiert sich die Festtagsseite in voller Pracht. In der Art spätgotischer Tafelmalerei sind die Szenen auf einer Vordergrundbühne vor ornamentiertem Goldgrund gegeben. Das Bildprogramm folgt der Passionsgeschichte. Die Leiden Christi beginnen in manchen Auslegungen mit seiner Menschwerdung, mit seiner Geburt, die im linken Flügel zu sehen ist: Maria und Joseph knieen vor dem Jesusknaben, dahinter sind Ochs und Esel, darüber ein Schriftband mit dem Worten „Et verbuum caro factum est“ („Und das Wort ist Fleisch geworden“, Johannes 1,14) erkennbar.

Eigentlich handelt es sich um ein weihnachtliches Motiv, das hier auf das Leiden an der Welt hinweist. Im Schrein findet sich als zentraler Moment der Passion die Kreuzigung: mit der trauernden Maria, gestützt von Johannes, der vor dem Kreuz knienden Maria Magdalena. Neben dem Kreuz finden sich Hauptmann Longinus mit der heiligen Lanze, mit der er den toten Gekreuzigten in die Seite sticht, und die um das Gewand Christi würfelnden Soldaten. Der rechte Flügel zeigt den auferstandenen Christus des Ostersonntags über den erschrockenen Grabwächtern: Der leidende Blick des in einen roten Umhang Gehüllten ist gen Himmel gerichtet, in der Linken die Fahne als Symbol des Sieges über den Tod, die Rechte ist zum Segensgestus erhoben -  eine in der Kunst des Abendlandes durchaus geläufige Darstellung.

Der Leichnam Christi findet sich hinter der abnehmbaren Front in einer als Grabkammer gestalteten Nische in der Mensa. Für die vollplastisch geschnitzte Skulptur, die am Karfreitag „enthüllt“ wird, wurden 1873 100 Gulden bezahlt.

Im Zuge der aktuellen Restaurierungsmaßnahmen konnte auf Basis eines Befundes die gründerzeitliche Raumhülle mit gemalter Quaderung, farbig gefassten Rippen und begleitenden Ornamentbändern mit Akanthus wiederhergestellt werden. Der Flügelaltar von 1873 wurde ebenfalls restauriert, wobei vor allem fehlende Teile der Altararchitektur und der Polimentvergoldung ergänzt sowie die ursprüngliche Fassung freigelegt wurden. Ein bemerkenswertes Beispiel gründerzeitlicher Kirchenkunst ist damit wieder in seiner ursprünglichen Schönheit erstanden.