Februar 2022
Das Prunktafelgeschirr von Schloss Hernstein (Niederösterreich)
Der Verbleib des bis in die 1930er-Jahre am ursprünglichen Aufbewahrungsort befindlichen Tafelgeschirrs war der Allgemeinheit lange Zeit unbekannt. Erst 2016 kam es wieder ans Licht der Öffentlichkeit, als es bei einem heimischen Auktionshaus zur Versteigerung stand. Die Ausfuhr ins Ausland wurde aufgrund der besonderen Bedeutung nicht in Aussicht gestellt.
Das nach Entwürfen und unter Leitung des bedeutenden Ringstraßenarchitekten Theophil von Hansen (1813-1891) im südlichen Niederösterreich für Erzherzog Leopold Ludwig (1823-1898) in einem Stilmix von Neogotik und Neorenaissance errichtete Jagdschloss Hernstein zählt zu den wichtigsten Schlossbauten des romantischen Historismus in Österreich und wurde bereits 1943 samt originaler Inneneinrichtung unter Denkmalschutz gestellt.
Neben der Konzeption und Umsetzung von Außenbau und Innenraumgestaltung lieferte der Architekt zudem Entwürfe für die Möbel und zahlreiche Interieurdetails bis hin zu diversen Gebrauchsgegenständen des erzherzoglichen Haushalts. Hansen war der Idee des Gesamtkunstwerks stark verpflichtet und ein unglaublich vielseitiger Baukünstler, dem kaum ein Gegenstand zu unbedeutend war, um sich ihm gestalterisch zu widmen. So designte er in Hernstein auch das Prunktafelservice, wobei er die Objekte durch farbliche und formale bzw. motivische Bezüge in das einheitliche Gestaltungskonzept des Baues miteinbezog. Das Schloss hat sich mit seinen aufwändig ausgestatteten Prunkräumen und dem zugehörigen Inventar in wesentlichen Teilen erhalten.
Das vor wenigen Jahren bei einem Wiener Auktionshaus versteigerte, aus drei Einzelgarnituren – Trinkservice aus Glas, Speiseservice aus Porzellan und Besteckgarnitur aus Silber – bestehende Tafelgeschirr wurde ehemals im großen, repräsentativen Speisesaal im ersten Stock in eigens dafür vorgesehenen, und ebenfalls nach Entwürfen Theophil Hansens von der Firma Dübell hergestellten Kredenz-Kästen aufbewahrt.
Das bis 2016 in habsburgischem Familienbesitz befindliche Tafelensemble wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ins Schloss Sonnberg bei Hollabrunn gebracht worden, wo es – der Überlieferung zufolge - in einem Kamin eingemauert die Kriegsjahre unversehrt überstand. Die jeweils vielteiligen Service-Ensembles wurden bei der Auktion von verschiedenen Eigentümer:innen erworben und aufgeteilt. Mehrere vollständige Gedecke sowohl der Glasgarnitur als auch der Porzellangarnitur sowie das gesamte Silberbesteck konnten erfreulicherweise von der Bundesmobilienverwaltung erworben werden und befinden sich nun in den Beständen der Silberkammer in der Wiener Hofburg.
Das 1858/59 in der Wiener Porzellanmanufaktur hergestellte Porzellanservice umfasst sowohl Elemente einer Speisegarnitur als auch solche eines Kaffee- sowie eines Teeservices. Die einzelnen Servicebestandteile sind von geradliniger, relativ schlichter Grundform und weisen einen reichen Flächendekor, bestehend aus einem breiten Ornamentband mit verschlungenem roten, gotisierenden Rankenwerk auf Goldgrund, das von kreisrunden Wappenmedaillons unterbrochen wird, auf. Ausgeprägt gotisierende Elemente finden sich auch bei Details wie den Henkeln der verschiedenen Tassen, die maßwerkartig durchbrochen sind, oder auch dem über vierpassförmigem Grundriss ausgeführten Fuß der Eierbecher. Einige Gefäßtypen und Einzelgefäße sind mit rundplastischen, naturalistisch ausgeführten Tiermotiven mit speziellem Jagdbezug wie Wildschwein oder Rebhuhn, die als Griffe fungieren, versehen.
Eine besondere Auszeichnung erfuhr das Service durch seine Präsentation auf der Londoner Weltausstellung von 1862. Das ausgesprochen festlich wirkende Trinkservice besteht aus farblosem, geschliffenem Glas und ist mit zartem Golddekor und gemalten, buntfarbigen Wappen des Hauses Habsburger-Lothringen verziert. Es umfasst neben mehreren Karaffen insgesamt zehn verschiedene Trinkglas-Typen, die zumeist in Becherform mit Fuß bzw. als kelchartige Stielgläser ausgeführt sind.
Hergestellt wurde das Service von der damals renommierten, heute aber kaum bekannten Glasfirma Wilhelm Hofmann, die Niederlassungen in Prag und Wien sowie auch im beliebten böhmischen Kurort Karlsbad hatte. Das prunkvolle Tafelgeschirr ist ein in dieser Form einzigartiges Beispiel eines von Theophil Hansen gestalteten und im Sinne eines Gesamtkunstwerkes in ein größeres Entwurfskonzept eingebundenes Service, das sich zudem in ungewöhnlich großem Umfang erhalten hat. In kulturhistorischer Hinsicht stellen die Service-Garnituren anschauliche Dokumente für die höfische bzw. hocharistokratische Tafelkultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar.
Nach Prüfung durch die Abteilung für bewegliche Denkmale wurde das gesamte, noch vorhandene Prunkservice-Ensemble der Glas- und Porzellangarnitur per Bescheid unter Denkmalschutz gestellt und dessen Erhalt im Inland damit gesichert. Mit den in der Silberkammer inventarisierten Servicebeständen ist nun ein repräsentativer Teil dieses einzigartigen kulturellen Erbes für das interessierte Publikum und die Wissenschaft zugänglich.