Februar 2021
“Die seltenen Talente dieser hochbegabten jungen Künstler…!”
Gustav Klimts Ölskizze “Altar des Dionysos” für das Stiegenhaus des Wiener Burgtheaters ist eine qualitativ hochrangige Arbeit aus der Frühzeit des Künstlers, die sein eigenständiges künstlerisches Talent unter Beweis stellt. Sie gilt heute als Meilenstein in der Entwicklung des Ausnahme-Künstlers und als Juwel des Wiener Historismus. Das Werk konnte im Rahmen eines Ausfuhrverfahrens für den österreichischen Kulturgüterbestand gesichert werden.
Die Ölskizze weist den architektonischen Gegebenheiten entsprechend ein ungewöhnlich großes Breitenmaß auf, weshalb die figurale Szene um die horizontale Achse aufgebaut wurde. Im Zentrum der Darstellung ist die Büste von Dionysos, des Gottes des Weines und des dichterischen Rausches, zu erkennen, der seit der Antike mit Festen und Prozessionen gefeiert wird. Das Standbild wird flankiert von einer knienden und einer liegenden Mänade (griechisch: Kultanhängerin/ Begleiterin der dionysischen Umzüge). Die beiden hellhäutigen Frauenkörper sind der eigentliche Blickfang der Komposition, ihre Posen der Huldigung und Hingabe beleben die statische Szene. Das Bild wird von einem musizierenden Satyr abgeschlossen, der nackt auf einem Tigerfell ruht. Mehrere Putti füllen die Weite des Raums. Diese Skizze ist die einzige vorbereitende Arbeit zur Gesamtdarstellung des Lünettenbildes, die bis heute erhalten geblieben ist.
Vergleicht man die Ölskizze mit der vollendeten Ausführung des Dionysosaltares im südlichen Stiegenhaus des Burgtheaters (Lünettengemälde unmittelbar unter den Deckengemälden), so fällt auf, dass die größte Veränderung bei der Gestaltung der schlummernden Mänade stattgefunden hat. Sie wird in der großen Ausführung völlig nackt gezeigt, auf einem weißen Tuch und einem Leopardenfell ruhend, den Kopf dem Betrachter zugewandt. Durch die neue Positionierung wirkt die Darstellung offener und unmittelbarer. Eine künstlerisch brillante Kreidezeichnung, die den unbekleideten Körper der liegenden Mänade skizziert, ist aus der Fachliteratur bekannt. Sie befindet sich heute in der Sammlung der Albertina und wird zu den schönsten Aktstudien von Gustav Klimt überhaupt gerechnet.
Die ungewöhnliche Umsetzung des antiken Sujets mit den weiblichen Aktdarstellungen, die technische Perfektion und die strahlend helle Farbpalette der fertigten Stiegenhausmalerei stießen bereits bei der Eröffnung des Theaters auf Anerkennung und Bewunderung in der Wiener Gesellschaft, sogar in höchsten Kreisen. Das Werk sollte das weitere Leben des jungen Meisters bestimmen.
Gustav Klimt, 1862 in Baumgarten bei Wien geboren, bildete noch während seiner Studienjahre an der Wiener Kunstgewerbeschule zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ernst (1864 -1892) und dem gemeinsamen Freund Franz Matsch (1861-1942) eine als “Künstler-Compagnie” geführte Ateliergemeinschaft im 6. Wiener Gemeindebezirk, die auf Vermittlung ihres Lehrers Ferdinand Laufberger zur malerischen Ausstattung von repräsentativen Gebäuden in Provinzstädten der k.k. Monarchie herangezogen wurde. So schufen die drei angehenden Künstler Deckenbilder, Vorhänge und Stiegenhausmalereien für die Theater in Liberec, Karlsbad, Rijeka und Bukarest, bevor ihnen der Durchbruch in Wien gelang.
Als sie im Oktober 1886 den Auftrag der “Hof-Bau-Commission” erhielten, die beiden prunkvollen Stiegenhäuser des neu erbauten Burgtheaters an der Ringstraße auszugestalten, war dies ein höchst ehrenvoller Auftrag. Auf Wunsch von Theaterdirektor Adolf Wilbrandt (1837-1911) waren insgesamt zehn Gemälde mit historischen Darstellungen vorgesehen, um die Geschichte des Theaters von der Antike bis zum Barock zu illustrieren.
Gustav Klimt übernahm vier Werke, nämlich “Thespiskarren”, “Globe Theatre”, "Theater in Taormina” und “Dionysosaltar”. Die Ausführung war mit großen körperlichen Strapazen verbunden, musste sie doch vom Gerüst aus in Rückenlage erfolgen. Nach Fertigstellung wurden die “seltenen Talente dieser hochbegabten jungen Künstler” von der Presse hochgelobt und mit dem goldenen Verdienstkreuz des Kaisers ausgezeichnet. Gustav Klimt und seine Gefährten wurden daraufhin mit Auftragswerken überhäuft und konnten sich der Porträtmalerei widmen. Der “Altar des Dionysos” wird in der neueren Fachliteratur als “Höhepunkt der Burgtheatergemälde” bezeichnet, - als das Werk, das als letztes der Serie ausgeführt wurde und stilistisch bereits zur nächsten Schaffensphase in Klimts Werk überleitet.
Dem Gemälde kommt neben seiner künstlerischen Qualität besondere kunstgeschichtliche Bedeutung zu, handelt es sich doch um den einzigen Entwurf der Gesamtdarstellung in Öl. Er dokumentiert also auf einzigartige Weise den Entstehungsprozess des Werks bis zur fertigen Ausführung. Das lange Zeit in Privatbesitz befindliche Gemälde wurde im Zuge eines Ausfuhrverfahrens unter Denkmalschutz gestellt und mit Ausfuhrverbot belegt.
Als Klimts “Altar des Dionysos” im November 2020 als “Highlight” der Modern Art im Dorotheum versteigert wurde, gelangte die Ölskizze als Geschenk eines kunstsinnigen und überaus großzügigen Ehepaares in die Sammlung des Leopold Museums. Ein denkmalgeschütztes Juwel des Wiener Historismus wird also – sobald die Museen wieder geöffnet sind - einem interessierten Publikum aus aller Welt zugänglich sein.
Der Museumsdirektor spricht von einem “Wunder in Zeiten der Krise und Pandemie”. Dem ist nichts hinzuzufügen.